In der Rubrik “Rückblicke” präsentieren wir Porträts von Mitarbeitern und Menschen, die eine besondere persönliche Verbindung zum Badezentrum Sindelfingen haben.
Das Freibad Sindelfingen ist weit über die Grenzen der Stadt Sindelfingen bekannt. Kein Wunder – ist es doch von seiner Fläche her das größte Freibad in Südwestdeutschland. Und mit seiner attraktiven Lage auf einer Anhöhe, harmonisch eingebunden in einen Naturpark am nordöstlichen Stadtrand von Sindelfingen, ist es wohl auch eines der schönsten Freibäder Deutschlands.
Vor 50 Jahren, am 27. Juni 1964, ist das Freibad eröffnet worden. Da stellt sich die Frage, welchem Geiste die gestalterische Idee zu diesem einzigartigen Waldbad entsprungen ist? Der Entwurf stammt von Architekt Erwin Spier, geboren am 15. Mai 1923 in Sindelfingen. An einem sonnigen Vorfrühlingstag, dem 14.03.2014, trafen wir Herrn Spier in seinem Sindelfinger Haus, welches zugleich sein Büro und somit der schöpferischer Ursprungsort des Freibades ist. Mit den prall gefüllten Ordnern, voll sorgfältig archivierter Dokumente, zur Hand, blicken wir zurück.
Herr Spier, welches waren die Grundprinzipien Ihres architektonischen Schaffens?
Zuerst einmal eine präzise, vorausdenkende Planung. Wenn ich zufrieden war, wusste ich, es war ein guter Entwurf. Wenn ich irgendwo Bedenken hatte, habe ich mich nochmal drangesetzt, ich habe nicht aufgegeben. Der Bauherr sollte zufrieden sein. Ich hatte immer einen hohen Anspruch an mich selbst. Ich habe immer gearbeitet, als wenn jeder Entwurf für einen Wettbewerb wäre.
Hatten Sie Vorbilder bei Ihrer Arbeit als Architekt?
Beim Freibad hatte ich keine Vorbilder. Das habe ich nach meinen eigenen Ideen gestaltet. Die Funktion war wichtig, und es sollte schön sein. Aber nicht verspielt, ich wollte nicht, nur weil es vielleicht gerade modern war, eine Ecke rund machen.
Ich habe meine eigenen Ideen gehabt. Dass das richtig war, hat sich in meinem ganzen Berufsleben gezeigt. Ich habe mein Studium mit einer glatten Eins abgeschlossen, das war beruhigend, aber nicht so, dass ich mich nicht mehr angestrengt hätte. Ich habe mich bei jedem einzelnen Entwurf angestrengt, bis es nicht mehr besser werden konnte.
Wie würden Sie Ihren Stil beschreiben?
Es sollte funktionell sein, aber schön. Die Proportionen müssen stimmen; der Entwurf muss ästhetisch in den Funktionen und in den Ansichten sein, und die Umgebung muss einbezogen sein.
Welche Gedanken hatten Sie, als Sie das erste Mal das unbebaute Freibadgelände betraten?
Ich dachte mir: ‚Das ist ein unmögliches Gelände.‘ Es war ziemlich verwildert, ungepflegter Wald, und ich habe gedacht: ‚Wie kann man da ein Freibad bauen?‘ Danach habe ich mich intensiv mit dem Gelände beschäftigt.
Wie verlief der gestalterische Prozess bei der Planung des Freibades und welches waren Ihre größten Herausforderungen?
Das Freibad als solches war nicht einfach in der Planung. Ein normales Freibad sieht anders aus. Wir haben damals eine Rundreise durch halb Württemberg gemacht, aber das hat mir alles nicht gefallen.
Das Gelände hat 10 Meter Gefälle. Es sollte so sein, dass, wenn man zum Haupteingang des Freibades reinkommt, der Turm gut sichtbar ist. Die Becken habe ich verteilt, damit sie wie eine Figur aussehen, die in die Landschaft passt. Man konnte sich entscheiden – beim Überblick über das gesamte Freibad – wohin man liegt.
Ich bin mit Herrn Walter Keitel, dem ersten Betriebsleiter des Freibades, das Gelände abgegangen; dabei haben wir jeden Baum angekreuzt, den wir fällen lassen wollten. Es war dicht bewachsen damals.
Unten sind die Schwimmerbecken wie in einem Stadion angelegt: Schwimmerbecken, Sportbecken und Sprungturm, links und rechts ansteigend die Hänge. Einer hat Terrassen, auf denen man liegen kann, der andere ist schräg. So entstand eine Art Stadion, mitten in der wilden Landschaft, die damals zur Verfügung stand. Die Nichtschwimmerbecken waren oben auf der Höhe, links und rechts, damit die Besucher sich verteilen konnten – ohne Massierungen.
Wir kamen mit den Bauarbeiten 1962/63 in den schlimmsten Winter seit vielen Jahren; das Grundwasser bildete Kanäle ins Tal hinunter, all unsere Straßen auf der Baustelle waren weggeschwemmt; ich bin schier verzweifelt. Das war mit das Schlimmste, was ich erlebt habe. Der Winter 63/64 war auch nicht viel besser, aber da waren wir schon ziemlich weit, es hat sich nur in die Länge gezogen. Deshalb war die Einweihung erst im Juni; eigentlich beginnt im April die Badezeit.
Wann und wie kamen Sie auf die Idee des Sprungturmes?
Ich habe von Anfang an an einen Pfeil gedacht, der den Wald unterstützt, und den man von überall sehen kann, der nicht unten im Gelände untergeht.
Hatten Sie damals schon erahnt, dass es das Wahrzeichen der Stadt Sindelfingen werden könnte?
Dass er zu einem Wahrzeichen Sindelfingens werden würde, habe ich nicht geahnt, aber ich habe immer daran festgehalten, er war immer mein Liebling. Er wurde auch sehr beliebt.
Sind Sie auch gerne gesprungen?
Eigentlich nicht; bei der Einweihung bin ich aber gesprungen (lacht). Aber nur geradeaus, kein Köpfer, das habe ich mich nicht getraut.
Welches war Ihr erster Gedanke, als Sie den Wettbewerb zum Bau des Freibades gewonnen haben?
Ich war glücklich, dass ich mit Abstand den ersten Preis bekommen habe. Und ich dachte: Das muss ich jetzt richtig schön durchführen.
Haben Sie damit gerechnet?
Wer rechnet schon als Architekt mit dem ersten Preis (lacht), das kann man nicht wissen. Es kommt auch darauf an, wie sich das Preisgericht zusammensetzt, ob es mitdenkt. Es ist nicht unbedingt Architektensache.
Welche Bedeutung hatte die Realisierung des Freibades für Ihre berufliche Karriere?
Es war ein außergewöhnlicher Wettbewerb, weil diese sonst meist auf Gebäude bezogen waren. Vorbilder hatte ich keine; auch insofern war es toll, dass ich gewonnen habe. Der Preis hat mir viel gebracht: Auch die Erkenntnis, dass ich vielseitig sein kann. Bei einem Freibad fühlt man sich in die Natur ein; es hat mir viele Sympathien gebracht. Von da an war ich auf jeden Fall bis oben voll mit Aufträgen.
Haben Sie im Freibad einen Lieblingsplatz gehabt?
Ja natürlich, auf meinen Terrassen! Da lag ich gerne, ich brauchte bloß aufstehen und war gleich im Wasser. 2,5 Meter breit und mit einem Absatz, damit jeder für sich liegt.
Wie ist das, im eigenen Freibad schwimmen zu gehen, das hat ja kaum jemand!
Eben! (lacht) Ich habe ab da noch 17 private Schwimmbäder gebaut, große und kleine, von da ab ging es los.
Können Sie uns Ihre Lieblingsanekdote in Bezug auf das Freibad erzählen?
Bei der Einweihung sollten Herr Keitel und ich den Ehrensprung vom Sprungturm machen. Wir mussten uns vorher noch schnell umziehen, wir hatten ja beide dunkle Anzüge an und das Publikum hat gewartet. Direkt unterhalb der Badeplattform vom Springerbecken war ein Technikraum, wo wir uns umziehen wollten. Dieser war abgesperrt mit einem 2,5 Meter hohen Zaun und Stacheldraht. Herr Keitel ist vorgegangen nach den Reden und hat aus Versehen das einzige Tor zufallen lassen. Da stand ich nun davor, und weit und breit war niemand, den ich hätte fragen können. Dann bin ich in der Eile im dunklen Anzug über den Stacheldraht geklettert, das vergesse ich nie.
Zur Einweihung am 27. Juni 1964 kamen bereits viele Tausend Menschen zum Baden.
Wie haben Sie diesen Tag in Erinnerung und was dachten Sie, als Sie oben auf dem Sprungturm standen?
Es war ein wunderschöner, herrlicher Tag. Ich war über den Zuspruch schon überrascht, und sehr zufrieden. Es muss ankommen, habe ich immer gedacht, sonst hätte ich nicht so viel Mühe hineingesteckt. Da war es beruhigend, die vielen Menschen zu sehen.
Würden Sie das Freibad heute anders bauen als damals?
Nein, ich könnte mir nichts Besseres vorstellen.
Was wünschen Sie dem Freibad für die nächsten 50 Jahre?
Ich wünsche unserem Sindelfinger Freibad, dass immer viel los ist, dass es gepflegt und gut erhalten bleibt!
Herr Spier, wir danken Ihnen sehr herzlich für diesen persönlichen Rückblick!